Text, Video und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB
An einem Sommermorgen
Da nimm den Wanderstab,
Es fallen deine Sorgen
Wie Nebel von dir ab.Des Himmels heitre Bläue
Lacht dir ins Herz hinein,
Und schließt, wie Gottes Treue,
Mit seinem Dach dich ein.Rings Blüten nur und Triebe
Und Halme von Segen schwer,
Dir ist, als zöge die Liebe
Des Weges nebenher.So heimisch alles klinget
Als wie im Vaterhaus,
Und über die Lerchen schwinget
Die Seele sich hinaus.Theodor Fontane: Guter Rat
Der Wanderer, den Fontane beschreibt, ist guten Mutes, weil die Liebe an seiner Seite wandert. In seinem Vaterhaus ist der Himmel das Dach. Die Welt ist seine Heimat. Er fühlt sich aufgehoben im Welthaushalt, er kennt seinen Platz und seine Seele fühlt sich fast unbesiegbar.[1]
Wieder und wieder finden wir in der Bibel ein Bild für die Abenteuer des Herzens: das Bild des Weges. Das Bild erhält noch tiefere Bedeutung, wenn wir uns daran erinnern, dass in der Bibel Weg immer Pilgerweg bedeutet.
Es ist der Weg, auf dem uns überraschenderweise der nächste Schritt schon zum Ziel führen kann, während das Ziel sich, auf ebenso überraschende Weise, als nur der nächste von vielen weiteren Schritten herausstellen kann.
Das Bild des Weges sagt uns, dass wir uns nicht fürchten müssen, die Ungebundenheit der Suche zu verlieren, selbst wenn wir finden. Wir müssen uns aber auch nicht fürchten, die Freude am Gefundenen zu verlieren, selbst wenn die Suche immer weiter geht.
In seinen «Four Quartets» spricht T. S. Eliot von dem Paradox
«still sein und dennoch vorangehen»,
dem Paradox der Hoffnung.
Seine Einsichten sind so klar und so treffend ausgedrückt, dass ich hier gerne ein paar von Eliots poetischen Zeilen in meine eigenen tastenden Versuche, über Hoffnung zu sprechen, einfügen möchte:
Wir werden nicht nachlassen in unserem Kundschaften
Und das Ende unseres Kundschaftens
Wird es sein, am Ausgangspunkt anzukommen
Und den Ort zum ersten Mal zu erkennen.T. S. Eliot: Four Quartets: Little Gidding, V[2]
«Wir werden nicht nachlassen in unserem Kundschaften», weil «auf dem Weg sein» das Unterwegs sein bedeutet.
Es spielt kaum eine Rolle, ob wir uns auf der falschen oder der richtigen Straße niederlassen. Solange wir sitzen, sind wir nach nirgendwo hin auf dem Weg. Wann immer wir uns bequem niedergelassen haben, sagt Gott:
«Eure Wege sind nicht meine Wege.» (Jesaja 55,8)
Das lässt die Illusion von Sicherheit zerbrechen und wirft uns wieder hinaus auf die kalte, dunkle Straße. Und das ist ein Segen. Arg wäre es, wenn Gott uns uns selbst überließe, bis uns übel würde von dem, was wir am meisten wünschten.
Im Gefundenen steckenzubleiben ist nicht besser als beim Suchen uns selbst zu verlieren.
Früher oder später werden wir erkennen,
dass nicht unser Finden wirklich zählt,
sondern unser Gefundenwerden.
Wir werden sehen, dass es nicht darauf ankommt, dass wir den Weg kennen, sondern dass wir an unserem Gehen erkannt werden.
Biblisch ausgedrückt heißt das:
«Es kennt der Herr den Weg des Gerechten» (Psalm 1,6),
und das ist es, was zählt.
Als Pilger haben wir ein Ziel. Aber der Sinn unserer Pilgerschaft hängt nicht davon ab, dass wir dieses Ziel erreichen.
Wichtig ist, dass wir in unserer Hoffnung offen bleiben,
offen für die Überraschung,
denn Gott kennt unseren Weg viel besser als wir selbst.
In diesem Wissen kann unser Herz Ruhe finden,
auch während wir weiterwandern.
Hoffnung als die Tugend des Pilgers vereint Stille mit Bewegung.[3]
An dem ruhenden Punkt der kreisenden Welt.
Weder Körper noch Geist,
Weder Hin noch Her;
Am ruhenden Punkt,
da ist der Tanz,
Weder einhalten noch Bewegung.
Und nenn es nicht Stillstand,
Wo Vergangenes und Künftiges zusammenfallen.
Bewegung weder hin noch her,
Weder Steigen noch Fallen.
Wäre der Punkt nicht, der ruhende Punkt,
so wäre der Tanz nicht,
und es gibt nichts als den Tanz.T. S. Eliot: Four Quartets: Burnt Norton, II
Die Zeit um die es hier geht, ist nicht unsere Zeit, aber eine Zeit, die wir in den großen Rhythmen des Lebens entdecken und der wir uns hingeben können auf unserem Weg zum Sinn.[4]
Gegenwärtig zu sein, bedeutet,
zur Wirklichkeit des Ortes aufzuwachen.
Wenn nicht hier, wo sonst?
Wann, wenn nicht jetzt?[5]«Das Ziel hienieden
Den meisten von uns unerreichbar,
Wir, die nur unbesiegt bleiben,
Weil wir es stets aufs Neue versuchten.»«Für uns gilt nur der Versuch
Der Rest ist nicht unsere Sache.»T. S. Eliot: Four Quartets[6]
Johannes Kaup: «Jesus sagt:
‹Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.› (Joh 14,6)
Ist das nicht ausschließlich gemeint?»
Bruder David: «Der Weg, um den es hier geht, ist der Weg zu Gott, der Weg ins große Geheimnis hinein. Wer auf diesem Weg ist, der verwirklicht dadurch das Christus-Selbst.
Wenn Jesus Christus bei Johannes sagt, ‹Ich bin der Weg›, so heißt das nicht: ‹Ich bin unter all den vielen Wegen der einzige, der ans Ziel führt.› Es muss vielmehr heißen:
‹Wer sich auf den Weg macht,
der ist auf dem Weg zur Verwirklichung des Christus-Selbst.›
Um aber auf dem Weg zu sein, muss ich mich auf den Weg machen. Auf diese Bewegung kommt es an. Beim Straßenschild faul herumzusitzen, heißt nicht, auf dem Weg zu sein, auch wenn ich den Namen auf dem Schild für den einzig richtigen halte. Auf den Straßennamen kommt es nicht an.
Wer immer sich aufmacht und geht, ist auf dem Weg.
Wer immer die Wahrheit sucht, findet mich ‒
das heißt, die Christuswirklichkeit in seinem Innersten;
und wer diese findet, findet Leben in Fülle.»[7]«Weg und Ziel zeigst Du mir nicht nur an,
Du großes Geheimnis im Herzen des Lebens,
Du b i s t mir beides.Als Weg erfahre ich Dich am richtungsweisenden Fließweg des Lebens,
dem ich mich anvertrauen darf wie ein Schwimmer dem Strom.Als Ziel erkennt Dich die Strömung in meinem Inneren mit ihrem geheimnisvollen Sog, der mir zuraunt: ‹Heim zum Vater!›
Lass mich nicht erschlaffen beim Schwimmen,
nicht schlapp dahintreiben wie Schwemmholz,
sondern wendig werden wie ein Fisch.
Mach mich achtsam für den leisesten Hinweis,
den mir das Leben ‒ den D u mir gibst.
Und lass mich täglich fröhlicher werden,
weil ich ja auf dem Heimweg bin zu Dir. Amen.»[8]
[Die Quellenangaben zum obigen Text in Anm. 1-8]
[Ergänzend:
1. T. S. Eliot: Four quartets
1.1. Video Wir sind daheim in dieser Welt (1975) und Transkription; siehe auch Zeit der großen Glocken
1.2. Audio Das Leid des Lebens zu Herzen nehmen ‒ Goldegger Dialoge (1992)
Eröffnungsreferat, Vortrag:
(15:08) Hungern nach Weisheit und Sinn – Unruhig ist unser Herz (Augustinus) – Wir lassen niemals vom Entdecken / Und am Ende allen Entdeckens / Langen wir, wo wir losliefen, an / Und kennen den Ort zum ersten Mal. / Durchs unbekannte, erinnerte Tor (T.S. Eliot)
Im Tagungsband Schmerz ‒ Stachel des Lebens (1992) ist dieser Vortrag abgedruckt unter dem Titel Das Leid des Lebens zu Herzen nehmen. Siehe S. 21f.
1.3. T. S. Eliot in Stillehalten und Zeit der großen Glocken
2. Abraham, der «Vater unseres Glaubens»
2.1. «Verlass dein Land!» (1 Mose 12,1)
Audio Das Leid des Lebens zu Herzen nehmen ‒ Goldegger Dialoge (1992)
Drittes Seminar mit Bruder David im Pfarrsaal bei der Georgskirche Goldegg:
(28:06) In die Zukunft hineingehen ohne noch klar sehen zu können, wie die Landschaft ausschauen wird – Geh hinaus in das Land, das ich dir zeigen werde (Die Berufung Abrahams, 1 Mose 12,1)
Im Buch Dankbarkeit: Das Herz allen Betens (2018), 83, [bzw. Fülle und Nichts (2015), 81f.]:
«‹Verlass dein Land!› sind Gottes erste Worte an Abraham, der erste Vers aus Kapitel 12 der Genesis. ‹Geh hinaus!› lautet die Herausforderung. ‹Wage dich vor!› Die deutsche Übersetzung erlaubt es kaum, die volle Wucht dieser Aufforderung auszudrücken. Und dann türmt sich Bild auf Bild, um dieses Wagnis für Abrahams Mut so herausfordernd wie möglich zu machen: ‹Verlass dein Land und deine Verwandtschaft und deines Vaters Haus.› Und wohin soll er gehen?
‹… in das Land, das ich dir zeigen will.›
Weder eine Karte, noch eine Richtung, noch der Name seines Ziels werden Abraham gegeben. Es ist, als sagte Gott:
‹Vertrau Mir! Ich bringe dich hin.
Alles was du brauchst, ist der Mut hinauszugehen
und alles hinter dir zu lassen.›
So und nur so wird Abraham zu unserem Vater im Glauben. Und fast nebenbei erfahren wir hier, wie alt Abraham war, als er sich im Glauben auf den Weg machte: fünfundsiebzig! Das ist nicht unbedingt ein Alter, in dem sich Menschen besonders abenteuerlustig fühlen. Es muss Abraham einiges an Vertrauen und Mut gekostet haben.»
2.2. «Wandle vor mir und sei vollkommen!» (1 Mose 17,1)
Vortrag Jesus als Wort Gottes, abgedruckt in: Die Frage nach Jesus (1973), 15f.; siehe auch Sterben und Wandlung:
«In diesem Wort an Abraham ist schon, wie in einem Samen, das ganze Wagnis der Heilsgeschichte beschlossen. Das Wagnis liegt einfach darin, vor Gott zu wandeln, sich dem Wort zu stellen.
Es heißt ja nicht: Wandle vor mir und nimm dich jetzt zusammen, wirklich vollkommen zu sein, denn ich werde dich beobachten!
Es heißt: wandle vor mir und sei vollkommen! In einem Parallelismus, in dem die zweite Hälfte dasselbe aussagt wie die erste: Wandle vor mir; das ist schon Vollkommenheit. Setze dich mir aus, darin liegt das Wagnis der Vollkommenheit.»
3. «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.» (Joh 14,6)
Arbeit und Schweigen, Beitrag von Bruder David im Buch Geist und Natur (1989), 299f.; siehe auch Jesus, der Christus: Ergänzend: 5.:
«Dieser Tage bekam ich ein Flugblatt in die Hand. Ich bewundere die jungen Menschen, die es verteilt haben. Sie haben sich wirklich getraut, für ihre Überzeugung einzutreten. Aber der Inhalt dieses Blattes zeigt mir, dass sie in ihrem Glauben nicht weit genug gegangen sind, zumindest nach christlichem Maß. Denn das Blatt besteht aus Bibelzitaten, und das sollte uns schon zu denken geben. Ist die Bibel für Christen ein Handbuch, aus dem man Sätze herauszieht, mit denen man seine Gesprächspartner bestenfalls überzeugt und schlimmstenfalls mundtot macht? Oder ist die Bibel Wort, das mich persönlich jetzt und hier herausfordert? Heraus-fordert, aus was heraus? Aus der Angst in den Glauben! Aus der Angst in das Vertrauen.
Ich lese gleich am Anfang: Jesus Christus spricht: ‹Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben› (Joh 14,6).
Ich würde es als gläubiger Christ sehr unter der Würde dessen, was wir als Christen von Jesus Christus glauben, halten, dass wir ihn nur als einen von vielen Wegen darstellen. Was heißt es denn, auf dem Weg zu sein? Auf dem Weg sein, heißt, sich bewegen. Jeder, der sich vorwärtsbewegt nach jenem Kompass des Herzens, der immer auf Gott weist, der ist auf dem Weg. Der ist also auf dem Weg, den wir als Christen ‒ Gott sei Dank ‒ als Jesus Christus kennen. Aber es ist viel weniger wichtig, dass man den Namen kennt, als dass man auf dem Weg ist. Christus, der Weg, kennt alle, die sich auf den Weg gemacht haben.»
4. «Fahre zu! Ich mag nicht fragen, / Wo die Fahrt zu Ende geht!» (Joseph von Eichendorff: «Frische Fahrt»), siehe Fragen des Lebens
5. Das Leid des Lebens zu Herzen nehmen ‒ Goldegger Dialoge (1992)
Eröffnungsreferat Vortrag:
(24:59) ‹leiden› und das ‹Leid(ige)› unterscheiden: Mit oder gegen den Strich gehen / (29:12) leiden, leiten, Lotse: Die leitende Kraft ist das Leben selbst
Das Leid des Lebens zu Herzen nehmen, 23f., sowie im Haupttext in Leiden und das Leidige:
«Die Lebensreise ist das Leiden.
Das überrascht uns vielleicht, besonders, wenn wir noch jung sind.
Es ist aber auch in der Philosophie, die in unserer Sprache enthalten ist, völlig klar angelegt. Leiden heißt ursprünglich gehen, fahren, reisen.
Leiden hatte nichts mit e r leiden zu tun.
Das Leiden, das ursprünglich fahren, reisen, gehen bedeutete, kommt von e i n e r Wurzel her, und das Leid (das Leidige) ist ein anderes Wort, das ursprünglich das W i d e r w ä r t i g e bedeutete. Langsam vermischen sich die beiden Wörter.
Erst, wenn wir wieder sehen, dass Leiden gar nicht unbedingt etwas Leidiges sein muss, beginnen wir darüber nachzudenken, was denn das Leiden leidig macht.»
6. Eng ist der Weg (2005); siehe auch Leiden als Mitleiden: Ergänzend: 4.:
«S.H. der Dalai Lama antwortete, indem er sagte: ‹So leicht ist es nicht. Leiden wird nicht dadurch überwunden, dass man die Schmerzen einfach hinter sich lässt; Leiden wird überwunden, indem man den Schmerz für andere trägt.› Und dies ist eine von diesen Antworten, welche sowohl christlich wie buddhistisch ist. Es ist eine grundlegende Aussage, die aus der Tatsache kommt, dass die Enge der Pfad ist.»]
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[1] Erkenntnis (2023): ‹In der Welt zu Hause sein›, 112f.
[2] T. S. Eliot: Four Quartets: Little Gidding, V; siehe auch Die Achtsamkeit des Herzens: ‹Spiegel des Herzens› (2021), 129, und Stillehalten
«We shall not cease from exploration
And the end of all our exploring
Will be to arrive where we started
And know the place for the first time.»
[3] Dankbarkeit: Das Herz allen Betens (2018), 114f., [bzw. Fülle und Nichts (2015), 114f.]; siehe auch ST 151 unter dem Titel ‹Ziel›
[4] Video Wir sind daheim in dieser Welt (1975) (26:00) und Transkription; siehe auch Die Achtsamkeit des Herzens: ‹Spiegel des Herzens› (2021), 112, und Stillehalten
T. S. Eliot: Four Quartets: Burnt Norton, II:
«At the still point oft he turning world. Neither flesh nor fleshless;
Neither from nor towards; at the still point, there the dance is,
But neither arrest nor movement. And do not call it fixity,
Where past and future are gathered. Neither movement from nor towards,
Neither ascent nor decline. Except for the point, the still point,
There would be no dance, and there is only the dance.»
[5] Die Achtsamkeit des Herzens: ‹Die Umwelt als Guru› (2021), 26 und 28; siehe auch Zeit der großen Glocken
[6] Ebd. 30; siehe auch Stillehalten und Zeit der großen Glocken
T. S. Eliot: Four Quartets: The Dry Salvages, V:
«For most of us, this is the aim
Never here to be realised;
Who are only undefeated
Because we have gone on trying.»
T. S. Eliot: Four Quartets: East Coker, V:
«For us, there is only the trying. The rest is not our business.»
[7] Das glauben wir (2015): ‹Spiritualität für unsere Zeit›: Bruder David im Gespräch mit Anselm Grün, 69 (Frage von Johannes Kaup) und 70f. (Antwort von Bruder David)
Siehe auch: Die Weisheit, die alle verbindet (2010):
(04:29) ‹Wir können uns im Schweigen in den Abgrund Gottes hinunterlassen ohne Ende, nie wird ein Echo zurückkommen› (T. S. Lewis) ‒ jede Tradition kennt das Selbst, das uns alle verbindet, die göttliche Wirklichkeit tief in uns: das Christus-Selbst, die Buddha-Natur, Purusha, I’itoi
[8] Erwachende Worte (2023): 11 ‒ Weg, 39; siehe auch Fließweg und Gewissen